Die Welt ist stets im Wandel, Grenzen sind im Wandel, selbst der Inhalt unseres Kühlschranks ist in permanentem Wandel – und wir versuchen Schritt zu halten, bevor etwas schimmelt. Das ist nicht immer ganz leicht und oftmals führen Veränderungen zu Verwirrung, Hilflosigkeit, ja sogar zu Ärger, Hass und nur selten zu Freude. In welche Richtung die Gefühle tendieren, hängt oft vom sozialen Umfeld, persönlichen Erlebnissen oder manifestierten Grundeinstellungen ab, die schwer veränderbar sind. Doch letztlich ist Wandel unaufhaltbar – sei es in der Politik, der Gesellschaft oder auch der Sprache.
Gendern tut nicht weh!
Hieß es früher noch: „Unser Dreikäsehoch hat es wieder einmal geschafft, seine Fisimatenten zu verschleiern. Alleine beim Gedanken, diese Tollereien hätte jemand bemerkt, wird mir ganz blümerant zu Mute.“, sagt man heute: „Mein Kind macht nur Mist. Zum Glück rafft´s keiner!“. Klingt wesentlich unspektakulärer und unschöner, ist jedoch mittlerweile gebräuchlich, da es für unseren schnelllebigen Alltag praktikabler, weil kürzer, daher kommt. In einem Dialog würde man wohl als leicht schrullig abgestempelt, redete man in solchen „altmodischen“ Worten. Warum werden wir dann aber nicht als schrullig abgestempelt, wenn wir statt eines inklusiven „Liebe Lesende“ immer noch „Lieber Leser“ als Ansprache für alle Geschlechter verwenden? Das Gegenteil ist regelrecht der Fall. Spricht man beispielsweise ein Gendersternchen mit, wie in „Alle TeilnehmerInnen“ wird man oftmals berichtigt oder als aufmüpfig oder doktrinär empfunden. Doch das sogenannte „Gendern“ ist nicht neu, es ist es nur leid, immer noch nicht akzeptiert und in den sprachlichen Wandel mit einbezogen zu werden.
Ja, was darf man denn noch sagen?
Und nicht nur gendergerechte Sprache hat es schwer, anerkannt zu werden. Entbrannte kürzlich doch ein Streit darüber, dass man „Zigeuner-Soße“ nicht mehr sagen dürfe. Ja, was darf man denn eigentlich noch sagen? Prinzipiell alles, nur sind viele Rezipient*innen empathischer und empfindsamer Sprache gegenüber geworden, sodass sie sich einfach nicht mehr alles anhören möchten. Diesem Unverständnis gegenüber „neuer“ Sprache mit „Das haben wir schon immer so gesagt!“ zu kontern, ist eine beliebte Reaktion. Doch selbst die Generation 60+ benutzt Worte wie „cool“, „abgefahren“, teilweise sogar „nice“.
Der Einfluss der englischen Sprache auf die deutsche ist enorm. Langsam schlich sie sich in unseren Alltag und ist nicht mehr wegzudenken. Gerade in Agenturen hört man vom Head of Human Resources, Social Media Manager oder Content Creator permanent nur englische Begriffe. Selbst die Stellenbezeichnungen sind ausschließlich englische Begriffe. Abgesehen davon, dass unsere Eltern das vielleicht nicht mehr verstehen, stellt diese Form der Wandlung ein vergleichsweise geringes Wutpotenzial dar. Fühlen sich einige vielleicht von dieser inklusiven Sprache bedroht? Petra Gerster, ZDF-Moderatorin, gab der taz im Januar 2021 ein Interview, in dem sie von Anfeindungen einiger Zuschauenden sprach, aber auch davon, dass mittlerweile bei einem Großteil „Gewöhnung einsetze“. In ihrem Team würde niemand gezwungen, zu gendern, doch Menschen, für die Sprache ihr tägliches Werkzeug ist, entscheiden sich recht häufig dafür. Dennoch halten Immerhin über 30 Prozent der Männer und immer noch 24 Prozent der Frauen inklusive Sprache für unwichtig.
Quelle: Statista
Sprachliche Inklusion the english way
Bleiben wir noch einmal kurz beim Englischen. Inklusive Sprache ist hier per se viel leichter. Es gibt kein „der“, „die“ oder „das“, sondern das Allround-Talent „the“. Überträgt man das auf unsere Stellenbezeichnungen, hieße es „The Social Media Manager“ und spricht direkt alle an. Dass das Deutsche uns diese Möglichkeit auf Grund seiner Artikelvernarrtheit nicht gestattet, bedeutet nur, dass wir neue, andere Wege gehen müssen. Auch in der Werbung.
Wir können es versuchen!
Das Thema des sprachlichen Wandels muss man im großen Ganzen der Gleichberechtigungsbewegung sehen. Die LGBTQI+ Bewegung fordert nichts weiter als Gleichstellung, Gleichbehandlung, Gleichberechtigung aller Menschen – und das eben auch in der Sprache. Es ist zugegeben ein sehr sensibles Thema und wir alle werden in Bezeichnungen oder unserer Wortwahl etwas danebengreifen. Aber wir können es wenigstens versuchen.
Werbung wandelt
Und besonders Werbung spielt hierbei eine große Rolle. Wir konsumieren sie täglich – in Form von Ads, Print-Anzeigen, Clips im Fernsehen oder im Internet. Ein Jingle, ein Claim, ein*e Werbebotschafter*in wird unmittelbar mit einem Produkt verknüpft und bleibt im Gedächtnis. Werbung war schon oft ein Teil oder gar Initialzündung für die Veränderungen im Sprachgebrauchs. Und das kann sie sich doppelt zu Nutze machen. Achtet sie nämlich auf inklusive Sprache, fühlen sich nicht nur mehr Menschen angesprochen, ergo mehr potentielle Verbraucher*innen, sondern sie kann aktiv dazu beitragen, die Inklusion der Sprache voranzutreiben.
Liebe Lesende, ein Schlusswort
Ich möchte letztlich nochmals Agenturen als gutes Beispiel heranziehen. Mein Job als Redakteurin und Texterin ist es, neben Blogartikeln und vielem anderen, auch Copytexte für Social Media Postings zu verfassen. Anstatt „Liebe Leser, aufgepasst“ entscheide ich mich mittlerweile bewusst für „Liebe Lesende“, „Liebe Alle“, „Liebe Leute“ oder formuliere den Text so um, dass ich gar nicht in Verlegenheit komme, ausschließlich die männliche Ansprache verwenden zu müssen. Zu vernachlässigen ist jedoch nicht, welche Zielgruppe ich anspreche oder welche Wünsche der Kunde äußert. Doch auch wenn ich in Blogartikeln „heimlich“ immer mal genderinklusive Sprache benutze, stört sich kaum jemand daran. Es ist eben ein schleichender Prozess, der Zeit braucht, um zur entspannten, unkrampfigen Normalität zu
werden.